Biographie: Kunst gegen das Konventionelle – Zivilcourage gegen Nazis


Günter Heinrich Hermann Schwannecke war ein bekannter, zeitgenössischer Kunstmaler, lebte und wirkte u.a. in Berlin und Braunschweig. Im August 1992 ermordete ihn ein Neonazi in Berlin. Seine Lebensgeschichte geriet anschließend überwiegend in Vergssenheit. Er war nur noch „ein Obdachloser“. Die Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt war eine unserer zentralen Forderungen.

Diese Biografie Günter Schwanneckes wurde im Juli 2012 rekonstruiert. Hierzu führte die Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative, die anlässlich des 20. Jahrestages des neonazistischen Angriffs auf Günter Schwannecke ein Gedenken an ihn organisierte, ein Zeitzeugengespräch mit dem Pensionär Karl-August Holländer. Der war ein langjähriger Freund und Weggefährte Schwanneckes und war Deutsch- und Kunstlehrer, u.a. an der Schule an der Windmühle in Berlin-Neukölln und an der Schule für Erwachsenenbildung in Berlin-Kreuzberg. Das Interview mit ihm wurde stichpunktartig aufgezeichnet. Einige Angaben waren, dem zeitlichen Abstand geschuldet, ungenau.

Jugendzeit

Günter Schwanecke wurde 1933 oder 1934 vermutlich in Braunschweig geboren. Dort wuchs er mit seinem Bruder im Haus seiner Eltern, einer Doppelhaushälfte, auf und besuchte die Schule. Er beendete die schulische Ausbildung wahrscheinlich dort mit dem Volksschulabschluss. Seine Schulzeit wurde unterbrochen, als er während des Zweiten Weltkkriegs nach Goslar evakuiert wurde. Er war zu dieser Zeit Mitglied eines Boxvereins und schaffte es, niedersächsischer Jugendmeister im Boxen zu werden.

Malereistudium und erste Ausstellungen

Etwa 1950 begann er eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Positivretoucheur in Braunschweig, wobei er den Umgang mit Farben, Licht und Perspektiven vertiefte. Nach der Lehre, die er etwa 1953 oder 1954 abschloss, erhielt er ein Sonderbegabtenstipendium für ein Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Er studierte dort freie Malerei bei Professor Manfred Henninger, der sehr von Paul Cézanne begeistert war. Die Kunst Henningers, Cézannes und auch Picassos prägten den Kunststil des jungen Günter Schwannecke. Er zeichnete damals auch gern außerhalb des Ateliers mit Zeichenblock und Stift, eine Technik, die er auch später immer wieder anwandte. Über seine Malerei sagte er: „Es geht um das Wesen.“ Nach zwei Jahren, etwa 1955 oder 1956, überreichte Manfred Henninger ihm ein Schreiben, mit dem er ihn aus dem Studium entließ. Henninger soll gesagt haben, er könne ihm nichts mehr beibringen.
Anschließend zog Günter Schwannecke nach München, wo er eine Anstellung als Positivretoucheur bei Triumph-Miederwaren fand. Nebenbei blieb er der Kunstmalerei treu. Im Sommer 1962 geriet er in München in die Schwabinger Krawalle: Weil jugendliche Straßenmusikanten noch nach 22 Uhr Twistmusik spielten, versuchte die Polizei sie festzunehmen. Daraus entstand eine Rangelei, die in einer mehrtägigen Auseinandersetzung zwischen der berittenen Polizei und bis zu 40000 Jugendlichen mündete. Es muss auf Günter Schwannecke erschreckend gewirkt haben, dass junge Menschen wegen ihrer Kunst von der Polizei angegriffen wurden: Bald darauf verließ er München und kehrte zurück nach Braunschweig. Er eröffnete dort eine Gallerie und arbeitete als freiberuflicher Positivretoucheur bei Volkswagen in der Werbeabteilung. Bei Volkswagen war auch sein Bruder tätig, der dort Meister war, die beiden hatten nach den Angaben Holländers ein schlechtes Verhältnis. Er arbeitete in Braunschweig mit dem Bildenden Künstler Jochen Kuschel zusammen, den er auch in Berlin später wieder traf. Günter Schwannecke heiratete eine Balletttänzerin, die auch Werbemodell bei der Firma Voigtländer war. Ihr Name ist noch unbekannt. Er liebte sie sehr und es war ein sehr schwerer Schlag für ihn, als seine Ehefrau bald darauf verstarb.

Pop-Ikonen

Günter Schwannecke ging etwa 1965 nach West-Berlin, wo er im Europa-Center ausstellte. Diese Ausstellung bewarb er mit Plakaten, die mit Siebdruck auf Aluminiumfohle gestaltet wurden. In dieser Zeit hatte er Kontakt zu zahlreichen Popikonen dieser Zeit und porträtierte diese auf Polymentvergoldung. Seine Werke verkaufte er an Gallerien. Im „stern“ erschien ein Artikel über Günter Schwanneckes Kunst. Er gab seinen Verdienst vollständig aus und kehrte 1976 verarmt nach Braunschweig zurück, wo er wieder bei seiner Mutter lebte. Günter Schwannecke entschied, seine Malerei künftig deutlich zu verändern: Er wollte keine Popikonen mehr malen, sondern Alltägliches. Er lernte Karl-August Holländer kennen, der ein Lehrjahr in Braunschweig machte und später Lehrer wurde, und schloss mit ihm eine enge Freundschaft.

Deutscher Herbst

Günter Schwannecke, 1980, Braunschweig

Im Jahr 1977 brach der Deutsche Herbst an. Karl-August Holländer und Günter Schwannecke erlebten diese Zeit als äußerst repressiv. Als Beispiel nannte Holländer, dass die Polizei ohne jeden Anlass vor der Tür stand und die Papiere forderte, was man verweigert habe. Er sagte, „unsere Generation wollte anders leben, das war unglaublich schwierig“. Es habe Vorschriften zu allem gegeben und massenhaft Berufsverbote. „Die ganze Generation wollte anders leben. Aber die, die das nicht wollten, haben das verhindern wollen“, erläuterte Karl-August Holländer im Rückblick. Die RAF und die Bewegung 2. Juni sah er als „Scheitern einer Generation“ an. Auf Ämtern und auf der Straße hätten überall Fahndungsplakate ausgehangen. Günter Schwannecke habe auf den Postämtern RAF-Fahndungsplakate abgerissen und diese dann neu gemalt, u.a. mit Silberstift auf Ikonengrund. So entstanden Zeichnungen von Christian Klar und vielen anderen. Er zeichnete die Sex Pistols, Gegenstände, die ihn interessierten. Es gab einzelne Ausstellungen in Braunschweig, 1980 auch in einem Café (siehe Foto rechts).

Bohèmians

1981 oder 1982 gingen Karl-August Holländer und Günter Schwannecke gemeinsam nach Berlin. Ausstellungen von Schwanneckes Werken scheiterten teilweise, u.a. weil er die Versicherung seiner Werke nicht immer aufbringen konnte. Er wollte nichts mehr mit dem bürgerlichen Kunstbetrieb zu tun haben – und umgekehrt lehnte der „bürgerliche Kunstbetrieb“ seine Kunstwerke, die u.a. Terrorist*innen darstellten, ab. Er wurde Teil einer Kreuzberger Künstler*innenszene und stellte in den Berliner Mehringhöfen aus. Er fand mit Timm Rabofsky einen neuen Kunstagenten, der die Gallerie „Kunstkabinett“. Dieser vertrieb auch Friedrich Schröder-Sonnenstern, dessen Schüler Peter Zinke ein enger Freund Schwanneckes wurde. Er zog bald bei Gudula und Peter Zinke in der Charlottenburger Pestalozzistraße 73 ein, wo er bis Anfang der 1990er Jahre überwiegend lebte. Zu seinem künstlerischen Umfeld gehörten außerdem Jochen Kuschel, Norbert Eisbrenner und auch Hagen Knuth. Er zeichnete Punks, Kneipiers, und auch Ärztinnen*Ärzte, teilweise beglich er mit seiner Malerei Rechnungen. Als Ende der 1980er Jahre seine Mutter verstarb, war dies ein schwerer Einschnitt für ihn.

„Wir wollten anders leben, nicht wie diese Leute“

Günter Schwannecke war ein in Berlin bekannter Kunstmaler, in der Fachszene auch darüber hinaus. Er konnte zeitweise von seiner Kunst leben. Besonders beschäftigten ihn Perspektiven, das Spiel mit Verkürzungen von Raumkanten, Räumlichkeit, dem Problem des Sehens und außerdem Farben. Günter Schwannecke setzte sich mit vielen verschiedenen Techniken auseinander. Schwannecke arbeitete mit Stiftzeichnungen, Bleistift, Filzsstift und auch Buntstiften, er malte mit Aquarellfarben und mit Tusche. Seine Techniken waren transportabel, sodass er sie mit nach draußen nehmen konnte. Dies war wichtig, denn Schwannecke malte, was er sah. Seine Kunstgegenstände wechselte er mit der Zeit. In seiner frühen Phase, noch unter Henninger, befasste er sich mit Naturmalerei. Eine weitere wichtige Phase ist die der Popikonenmalerei. Später befasste er sich mit der Verlogenheit der Gegenstände und Gegenständen, mit denen er sympathisierte. Günter Schwannecke war ein ausgezeichneter Kenner der Kunstgeschichte. Er wollte ein alternatives Leben führen, das Konventionelle regte ihn auf. Er war politisch „links“, wollte gesellschaftlichen Fortschritt, was auch Grundlage seiner Kunst war. Die Rebellion war in dieser Zeit überall präsent.
„Was man machte, es war verboten. Wir wollten einfach anders leben, nicht wie diese Leute“, sagte Holländer über die gemeinsame Zeit mit Günter Schwannecke. Dieser war antifaschistisch eingestellt und stand der Berliner Hausbesetzer*innenszene nahe. Er beteiligte sich an Demonstrationen, jedoch war er nicht politisch organisiert. Schwannecke war kein großer Taktierer, wenn ihn etwas störte, handelte er sofort ohne nachzudenken. Dazu erzählte Karl-August Holländer die Anekdote, dass Schwannecke bei einer Hausbesetzer*innendemonstration auf dem Kurfürstendamm spontan eine Menschenkette aus Künstler*innen organisierte, die Zugriffe der Polizei verhinderte. Dies spontane Handeln wird auch die Begegnung mit seinem späteren Mörder Norman Z. dominiert haben.

„Ich geh‘ die Platte putzen“

Günter Schwannecke geriet 1991 oder 1992 in eine Sinnkrise. Er war vor der Gesellschaft zunehmend tiefer enttäuscht, gleichzeitig wollte er seinen ständigen Wunsch nach vollkommener Freiheit verwirklichen. „Ich geh‘ die Platte putzen“, kündigte er an und zog auf die Straße. Er hatte eine Unterkunft im Städtischen Wohnheim am Friedrich-Olbricht-Damm in Charlottenburg-Nord, wo Wohnungslose und Asylbewerber*innen untergebracht wurden. Er war Sozialhilfeempfänger und hatte einen kleinen Zuverdienst, weil er weiter Bilder malte. Mitte August 1992 trafen sich Karl-August Holländer und Günter Schwannecke in der Wilmersdorfer Straße, wo Letzterer auf einer Bank saß. Es gab ein längeres Gespräch der beiden, in dem Holländer meinte, ohne Wohnung hätte ein Mensch keinen Schutz. Günter Schwannecke war das zu bürgerlich, denn nun könnte er sagen, was er wolle, er brauchte keinen Schutz.

Ermordet von einem Neonazi

Günter Schwannecke und Hagen Knuth, der ebenfalls ein zu dieser Zeit wohnungsloser Bildender Künstler war, saßen am 29. August 1992 auf der Bank eines Spielplatzes der Pestalozzi-, Ecke Fritschestraße in Charlottenburg. Sie feierten dort bei Alkoholgenuss den Geburtstag eines der beiden, von welchem wusste Holländer nicht mehr. Aus dem Gerichtsurteil ist Folgendes bekannt: Die beiden Neonazis Norman Z. und Hendrik J. kamen hinzu, um dort Menschen mit Migrationsgeschichte rassistisch zu beleidigen. Später kamen die Skinheads J. und Z. wieder und wollten diese ganz vertreiben. Z., der Ku-Klux-Klan-Anhänger war, hatte seinen ein Meter langen Baseballschläger aus Aluminium bei sich. Günter Schwannecke und Hagen Knuth mischten sich ein, forderten, dass die Neonazis aufhören zu pöbeln, sie bewiesen Zivilcourage. Die Menschen mit Migrationsgeschichte flüchteten. Die Wut der Skinheads richtete sich nun gegen die beiden Künstler. Es kam zu einem kurzen Wortgefecht. – Karl-August Holländer vermutet, dass Günter Schwannecke sich hier deutlich antifaschistisch äußerte, doch über den genauen Inhalt des Gesprächs ist nichts bekannt. – Norman Z. schlug kurz darauf mit dem Baseballschläger auf die Köpfe der beiden ein. Beide wurde in das Westend-Krankenhaus eingeliefert. Hagen Knuth wurde nach schwerem Hirntrauma gerettet, doch Günter Schwanneckes Zustand verschlechterte sich zunehmend. Dies wurde durch eine langjährige Lebererkrankung und eine Lungenenzündung infolge der schweren Hirnverletzung begünstigt. Günter Schwannecke ist am 5. September 1992 im Krankenhaus Westend an den Folgen von Schädelbruch und Hirnblutungen verstorben.

Der Prozess

Im Februar 1993 fand eine dreitägige Gerichtsverhandlung gegen Norman Z. statt, Hendrik J. und Hagen Knuth waren beide als Zeugen geladen. Karl-August Holländer und einige Freund*innen beobachteten den Prozess als Zuschauer*innen, Pressevertreter*innen waren nicht anwesend. Dort saßen sie zusammen mit den Neonazifreunden Z.s, was sehr bedrohlich wirkte. Sie verhielten sich unangenehm. Der Aluminiumschläger, die Tatwaffe, lag die ganze Zeit über auf dem Gerichtstisch. Holländer stellte sich die Frage, „was jemand damit will, wenn man nicht Baseballspieler ist“. Norman Z. habe er meist von hinten oder schräg von der Seite gesehen, er trug eine Kurzhaarfrisur und einen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Er war auch nicht fröhlich. Er hatte zwei Anwälte, Saubermänner, die Sympathie und Verständnis für den Angeklagten und den Zeugen Hendrik J. bekundeten. Sie waren ähnlich wie Z. gekleidet, trugen aber erlesene Stoffe, sie dominierten ästhetisch. Ihr Gegenspieler war der Staatsanwalt, den Holländer als engagiert wahrnahm, Norman Z. mehr nachzuweisen. Karl-August Holländer hatte den Eindruck, dass Norman Z. die gemeinsame Tat mit Hendrik J. allein auf sich genommen habe. Er glaubt, dass die beiden Skinheads ihn gemeinsam erschlagen hätten, und zwar von hinten, denn Günter Schwannecke habe ja boxen können. – Dem entgegen heißt es im Gerichtsurteil, dass der alleinige Täter Norman Z. von vorn auf beide einschlug. – Hagen Knuth sagte kaum etwas aus, er gab an, er könne sich nicht erinnern. Während das Gericht und die Medien es so darstellten, dass sich Knuth wegen seines Alkholkonsums an dem Abend an nichts erinnern konnte, ist es wahrscheinlicher, dass die Erinnerungen auf Grund des schweren Hirntraumas ausblieben. Außerdem habe er schwer traumatisiert gewirkt, sagte Holländer. Knuth habe keine psychologische oder gerichtliche Hilfe erhalten und wegen des Traumas, möglicherweise auch aus Angst vor den Neonazis, nicht ausgesagt.
Norman Z. wurde schließlich wegen Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung zu 6 Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Landgericht Berlin hob hervor, dass seine rassistische Gesinnung ursächlich für die Tat gewesen ist. Z. sei bei der Urteilsverkündung entsetzt gewesen, seine Skinheadfreunde kommentierten das Urteil aus dem Zuschauer*innenbereich: „Wieso? Der war doch nur ein Penner!“

Das Vergessen

Es gab 1992 und 1993 keine Proteste und keine mediale Skandalisierung. Schwanneckes Freundeskreis, der im Nachgang abends in der Pestalozzistraße abends genau aufpasste, wo sie langgingen, plante eine Gedenkausstellung. Karl-August Holländer beteiligte sich nicht daran und konnte nicht mehr sagen, ob diese Ausstellung je stattfand. In der Darstellung der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts wurde Günter Schwannecke nur noch stigmatisierend als betrunkener „Stadtstreicher“ dargestellt – ohne Lebensgeschichte. Auch die Zeitungen übernahmen diese Wortwahl in ihrer Prozessberichterstattung. Die zivilgesellschaftlichen Chroniken der (zurzeit) 182 bekannten Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung sprechen in Bezug auf damalige Zeitungsmeldungen nur von einem „Obdachlosen“. Dieser Fall wird unter den Opfern rechter Gewalt von der Bundesregierung 1993 genannt, 1999 und 2009 nicht. Das Land Berlin zählte den Fall zuletzt 2012 nicht mehr, denn eine politische Gesinnung des Täters habe bei der Tat laut Gerichtsurteil nicht vorgelegen – ein Irrtum. Seit 2018 wird der Fall wieder gezählt.